Sonntag, 14. Juli 2013

Das Zurücklassen hat zwei gänzlich unterschiedliche Gesichter, die doch wie die zwei Seiten derselben Münze unzertrennlich sind. Da ist der Aufbruch, der mich an neue Ufer vordringen lässt, die ich noch nie zuvor erblickt habe und da ist der Abschied, der mich von Bekanntem und auch Geliebtem unwiderruflich fortreißt. Wenn ich die Münze nun werfe, welche Seite wird sie mir zeigen?

Manchmal beschleicht einen das Gefühl, dass sich das Zurückgelassene nie ganz von einem lösen will, dass es einem vielmehr an jedem beliebigen neuen Ort auflauert und mit seiner Abwesenheit anklagt. Es lässt sich ja nicht bestreiten, dass es einmal da gewesen ist. Hat man es nun mit seinem Aufbruch im Stich gelassen, hat man seine Verantwortung ihm gegenüber nicht wahrgenommen? Dieser Gedanke hat die Macht, in den Wahnsinn zu treiben.


(2012)

Vielleicht hält die Aussage, dass Bewegung unvermeidlich und dass ohne sie kein Leben denkbar ist, keinen wirklichen Trost bereit; vielleicht erscheint sie sogar kalt und egoistisch, ihr Argument schal und rücksichtslos. Aber sie hat ihre Wahrheit. Denn es ist doch so, dass man dem stummen Drang irgendwann folgen muss, der sich im Inneren aufstaut und sein Recht beständig einfordert, indem er das Gegenwärtige in Frage stellt. Er wird nicht verschwinden, denn er kennt keine Zeit und kein Vorübergehen. Ihm gegenüber kann man sich lediglich taub stellen, aber über ihn zu triumphieren ist unmöglich.

Hier und vielleicht nur hier hat das das Individuum seinen Platz - vielleicht sogar mehr als den meisten lieb ist. Denn es muss akzeptieren, dass die Brücken, die es mit seiner Umwelt verbinden, nicht unvergänglich sind. So wie aus einer Landmasse mehrere Inseln werden können, können aus einer Welt zwei Welten werden. Aber sind sie nicht auch dem gleichen Gesetz unterworfen, das für alle gilt und das lautet: Dein Charakter und dein Leben seien eins? Das heißt, gibt es denn eine Alternative? Ein Nein zum Wunsch ist auch ein Nein zum Leben. Und das menschliche Leben mit seinen unzähligen Beschränkungen erlaubt nicht, den Bogen beliebig zu spannen. Ein sinnvolles und zufriedenes Dasein ist nur innerhalb seiner statischen Gegebenheiten möglich - und es setzt die Akzeptanz dieses Zustands voraus.

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Leaving behind always has two very different faces but they are as inseparable as the two sides of one coin. There is departure which gives me the chance to reach new shores I have never seen before and there is parting which snatches me away irrevocably from the familiar and beloved. If I toss the coin now, which side will it show?

Sometimes you have the feeling that what you left behind will never quite peel away from you but rather waylay in any new place and accuse you there with it's absence. It indeed cannot be denied that is has been there once. Did you turn your back on it when you departed, did you not assume your responsability for it? This thought has the power to drive you mad.

Maybe there lies no solace in the statement that movement is inevitable and without it there would be no life; maybe it seems even cold and egoistic, it's argumentation appears to be moldy and reckless. But it has it's truth. Because isn't it that at some point you have to accommodate the silent urge that is building up inside and that calls for it's right by questioning the status quo. It will not vanish because it is ignorant of time and elapsing. You can turn a deaf ear but it is impossible to triumph.

Here and maybe only here is the place for the individual - to an extent that most individuals are perhaps not likely to appreciate. Because they have to accept that the bridges between themselves and their surroundings are instable. And as one landmass can become several islands, one world can become two worlds. But are they not subordinated under the same law which applies to all and which goes: your character and your life shall be one? That means, is there an alternative? Saying no the the wish means saying no to life. And with it's countless limitations human life does not allow to draw a bow at one's own will. It is only possible to spend a reasonable and peaceful life within it's statical conditions - and prior to this that state needs to be accepted.

1 Kommentar:

  1. Ich mag deine Gedanken und werde mich wohl noch durch deinen wunderbaren Blog lesen. Besonders dieser Text ist mir beim Überfliegen im Gedächtnis geblieben. Bewegung und Leben sind ganz sicher eine Art Einheit. Die Bewegung zieht den bittersüßen Geschmack von Veränderung mit sich. Manchmal hat man das Gefühl, das Leben würde einen wie einen Wirbelsturm drehen und man fühlt nur noch diesen Schwindel. In der Mitte angekommen, dreht sich nichts mehr und stattdessen ist da nur noch Stille und ein Ich. Und wie du schon geschrieben hast, man kann sich zwar taub stellen, aber es ganz beenden wird man nie. Denn jedes Ende hat einen Anfang und jedem Lärm folgt auch irgendwann die Stille.

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