Montag, 19. November 2012

Ich übe mich darin, die Bilder, welche ich selbst habe entstehen lassen - gestern, vor Monaten oder vielleicht Jahren - als Angebote wahrzunehmen, die Erinnerung abzulegen. Das mag zunächst keinen Sinn machen, denn sind es nicht gerade die Bilder, die auf fotografischem Wege gemachten Bilder, die der Erinnerung Halt verleihen, die Erzählung unterstützen, die eigene Biographie veranschaulichen sollen? Zum einen stimmt das vollkommen, denn sie haben mitunter die Eigenschaft, eine einzigartige Qualität, die mit einem für mich persönlich bedeutenden, in der Vergangenheit liegenden Moment oder Zeitabschnitt aufs Engste verknüpft ist, in meinem gegenwärtigen Empfinden wieder fühlbar zu machen; bezeichnenderweise sind dies oft die Banalitäten, die die Kamera - also jener Aura-Apparat, der den Mittelpunkt meiner Texte bilden wird - nur beiläufig auf den Film gebannt hat. Der Apparat ist also noch dazu ein analoger, worauf ich aber erst an späterer Stelle genauer eingehen möchte.

Es mag die Form jenes Türgriffes sein, die sich in mein Gedächtnis eingebrannt hat und anhand derer ich womöglich einmal die Unterhaltung in einer klirrend kalten Winternacht rekonstruieren werde, die dort, im Unterbewussten, nur geschlafen hat und schließlich von den seltsamen Lauten eines fernen Vogels aus ihren Träumen gerissen wird. Ich kann sagen, dass mir das Bild in dieser Hinsicht ein Bedürfnis ist, so wie es zu den angenehmen Gewohnheiten manches Menschen gehört, über das Erlebte zu schreiben. Nun möchte ich ebenfalls schreiben und schiebe dennoch den fotografischen Filter vor das, was ich zum Ausdruck bringen will. Wozu? Weil ich, wie gesagt, die Erinnerung ablegen möchte.


(2011)



Meine Erinnerungen sind, sofern sie nicht vorher durch die Fotografie gegangen sind, wertlos, da sie nicht vermittelbar sind. Sie enthalten nicht die Botschaft für einen Dritten, die sie für mich enthalten; ihnen ist kein Schlüssel beigegeben, mithilfe dessen der Leser an den Sinn gelangen könnte. Ich halte mich darüber hinaus für keinen guten Tagebuchautor. Ich befürchte, ich würde langweilen.
Stattdessen fokussiere ich meine Gedanken lieber auf ein Produkt, dessen eine Hälfte meine Schöpfung ist, die andere aber durch das Wirken der Natur und ihrer Gesetze gebildet wurde. Die Fotografie gibt mir die Möglichkeit, weil dies ihre innerste Eigenschaft, ihr eigentlich Wesenhaftes ist, mich nachträglich dem Eindruck zu stellen, dem ich einst so viel Wert beimaß, dass ich ihn nicht mehr loslassen wollte. Doch weit davon entfernt, ihn so wieder vorzufinden, wie ich ihm einmal ein Bild abgenommen hatte, bin ich dazu aufgerufen, erneut zu bewerten und mein Urteil zu begründen. Das will ich hiermit tun.

In diesem Sinne betrachte ich meine Fotografie als eine Einladung an mich selbst, mich von der Erinnerung zumindest zeitweise zu befreien versuchen. Wenn ich nicht mehr an die Hände denke, die den Griff hunderte oder tausende Male berührt haben, die Blicke vor meinem geistigen Auge ignoriere, die durch das große Glas auf die alltägliche Welt draußen geworfen wurden, dann fällt mir zunächst eines auf: Bild und Spiegelbild treffen sich auf einer Ebene. Die Fähigkeit, die ich sonst besitze, nämlich die Spiegelung zu ignorieren, um einen funktionsfähigen Blick auf meine Umwelt werfen zu können, ist mir hier genommen. Ich komme nicht umhin, sie in meine Wahrnehmung zu integrieren, ich muss mich ihrer annehmen, um der Sache gerecht zu werden. Wenn Innen und Außen durch eine so simple optische Gegebenheit eins werden können, dann frage ich mich, nach welchen Gesetzen ich gehandelt habe, die mich dazu bewogen, dieses Bild festzuhalten. Tatsächlich entspricht es ziemlich genau der Vorstellung, die ich von ihm hatte, als ich den Auslöser betätigte. Das aber ist bei weitem nicht immer der Fall...

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I try to appreciate the images I created - yesterday or maybe months or even years ago - as an opportunity to abandon memory. This may seem to make no sense because is it not the imagery produced due to a photographic process that can sustain memory, make a narration possible and depict a person's biography? On the one hand this is undeniably true, because these images tend to have a certain ability to evoke a unique quality which is linked to a very special moment in my personal life that is laying there in the past. Significantly these are often banalities casually recorded by the camera, this aura-apparatus which will play a key role in my texts. This apparatus specifically bases on an analog technique but I will refer to that later.

It may be the form of this door knob that has burned itself into my memory and with the help of it I may be able to reconstruct a conversation on a cold winter night which has slept there in my subconscious mind only to be pulled out of its' dreams by the strange sound of a distant bird. I can say that in this regard I have a need for the image like some people have the pleasant habit of writing about what they have experienced. I like to write as well but still I use this photographic filter for my expression. For what reason? Because just like I said, I want to abandon memory.

My memories are kind of worthless without having made their way through photography first because they would not be perspicious. They would not transport the same message to a third party as they do to me; they do not come with a key that a reader could use to gain access to their meaning. Besides I don't think I am good at writing a diary. I fear that it would become boring.
I prefer to focus on an artifact instead - it is half my own creation and half carved out by laws of nature. Photography makes it possible because it is its' most essential quality to confront me with impressions I once attached such a great importance to that I did not want to let them go anymore. But far away from being able to come across them once again like at that specific moment when I took the image I find myself appealed to adjucate upon them anew and to reason my judgment. This is what I want to do here.

In this spirit I deem photography as an invitation to free myself from memory, at least partially. If I don't think of the hands anymore that have touched this knob a hundred or thousand times, if I ignore the glances before my inner eye, that have been thrown through this big glass plate at the day-to-day-world outside I recognize one thing: image and mirror image meet on the same level. I loose my usual ability to ignore the reflection in order to establish a functioning view on my environment. I cannot avoid to integrate it into my perception, I have to accept it in order to live up to it. If the inside and outside can become one through such a simple optical condition I wonder about the conditions that have brought me to take this picture. Indeed, it corresponds quite exactly to idea I had in mind of it when I pushed the release button. But this is not often the case by far...

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